Yazilikaya: Hethitisches Heiligtum

Yazilikaya: Hethitisches Heiligtum
Yazilikaya: Hethitisches Heiligtum
 
Ungefähr 800 m östlich der Stadt Hattusa liegt am Berghang eine Felsenkuppe mit Spalten und Kammern, die in der hethitischen Großreichszeit zu einem Heiligtum - Yazɪlɪkaya - ausgebaut wurde: Vor dem Eingang zu der größeren der beiden Felskammern (Kammer A) errichtete man ein Bauwerk, das die Grundelemente eines hethitischen Tempels wiederholt. Durch einen Eingang führen Stufen zu einem Hof empor, auf dessen linker Seite eine Tür, der eine offene Pfeilerhalle vorgelagert ist, in die Felskammer führt, die damit die Stelle des Allerheiligsten anderer Kultbauten einnimmt. Von der Kammer A aus kam man durch einen schmalen Gang zwischen den Felsen in die Kammer B, die ebenfalls ein wichtiger Kultplatz gewesen sein muss; nach Norden zu besaß sie eine Erweiterung (Kammer C), die von außen her über eine Treppe zugänglich war. Möglicherweise war ursprünglich auch die Kammer B von außen zugänglich; dieser Einlass ist aber heute durch einen großen Felsbrocken verschlossen. In einer späteren Phase wurde ein neuer Torbau errichtet, der sich vor den ursprünglichen Hofeingang legte. Er bildete einen eindrucksvollen Zugang zu dem heiligen Bezirk.
 
Die Felsen, die vielleicht selbst als Naturheiligtum Gegenstand der Verehrung waren, bestehen aus feinem Kalkstein. Die Gesteinsflächen boten nach meist nur geringfügiger Abarbeitung die Möglichkeit zur Anbringung von Felsreliefs. Das machte man sich zunutze, um beide Kammern mit zahlreichen Bildern hethitischer Götter auszuschmücken. Dadurch wurde Yazɪlɪkaya zu einem herausragenden Monument hethitischer Bildkunst.
 
In der Hauptkammer A ist das hethitische Pantheon in zwei Gruppen angeordnet: auf der linken Seite die Götter, rechts die Göttinnen. Ein Teil der Gottheiten wird durch Beischriften identifiziert, die über dem ausgestreckten Arm angebracht sind. Die Götternamen erscheinen in hurritischer Form und auch die Anordnung der Götter folgt offenbar hurritischen Vorstellungen. Die Hauptszene mit den wichtigsten Gottheiten nimmt die Stirnwand der Kammer ein. Die Figuren zeichnen sich durch ihre besondere Größe aus; außerdem stehen nur sie auf den teils personifizierten heiligen Bergen und auf Symboltieren wie dem Löwen und dem Doppeladler. Der Wettergott des Himmels, auf dem Nacken zweier Berggötter stehend, mit seiner Gattin Hepat, die in der Religion der späten Großreichszeit mit der Sonnengöttin von Arinna verschmolzen ist, und der hinter Hepat stehende Scharruma bilden den Mittelpunkt der Götterversammlung.
 
Die auf der rechten Seite aufgereihten weiblichen Gottheiten wirken sehr gleichförmig und können nur mithilfe der Beischriften erkannt werden. Dagegen wurden bei dem Zug auf der gegenüberliegenden Seite einzelne Götter recht individuell gestaltet. So trägt der auf den Mondgott folgende Sonnengott die gleiche Tracht wie die Könige, jedoch ausgezeichnet durch die Flügelsonne auf dem Kopf. Die in die Reihe der männlichen Götter aufgenommene kriegerische Ischtar -— sie trägt hier den Namen Schauschka —- ist geflügelt und trägt wie auf dem Siegelring aus Konya und den späteren Orthostatenreliefs ein gefälteltes Gewand, das den Unterkörper und das nach vorne gestellte Bein entblößt. Berggötter werden durch Schuppen und vorstehende Zacken an dem langen Rock gekennzeichnet. Eine Gruppe von zwei Stiermenschen, die mit erhobenen Händen eine Art Schale (das Hieroglyphenzeichen für »Himmel«) tragen und auf dem Zeichen für »Erde« stehen, bilden eine statische Gruppe innerhalb der zur Hauptszene hin ausgerichteten Reihung. Hieran wird deutlich, dass die Schrittstellung der übrigen Figuren und ihre Profilansicht vermutlich keine Bewegung im Sinn eines Götterzuges zum Ausdruck bringen soll, sondern einfach der konventionellen Darstellung menschlicher Figuren folgt.
 
An der Felswand genau gegenüber der Hauptszene ist der Großkönig Tutchalija dargestellt. Ähnlich wie sonst nur die »großen« Götter der Hauptszene stehen seine Füße auf zwei kleinen Bergen. Hier zeichnet sich eine Tendenz ab, den König wohl schon zu Lebzeiten den Göttern gleichzustellen, während ihm ein solcher Rang in den Texten sonst erst nach dem Tod eingeräumt wird. Die Gestaltung der Königsädikula lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um Tutchalija IV. handelt. Auf ihn geht wohl die Ausgestaltung des Heiligtums insgesamt zurück.
 
Der Durchgang zu der Kammer B wird rechts und links von einem Löwendämon bewacht. In der Kammer selbst sind formal selbssttändige, einzelne Reliefs angebracht, deren inhaltlicher Bezug bisher nicht durch Texte erhellt wird. Das Bild des Gottes Scharruma, der seinen Arm schützend um den Hals des Königs Tutchalija legt, entspricht den Darstellungen der seit Muwatalli II. zu belegten »Umarmungssiegel«. Die Vorstellung, durch eine solche Geste des besonderen Schutzes der Götter teilhaftig zu werden, spiegelt sich in dem manchen hethitischen Briefen angehängten Segenswunsch wider: Die Götter mögen ihre Arme schützend um den Empfänger legen. Ihre Verwirklichung in dem so eindrucksvollen, der altorientalischen Tradition sonst eher fremden Bild geht wohl auf Anregungen der ägyptischen Kunst zurück.
 
Noch fremdartiger wirkt der in den Boden gesteckte Dolch, dessen Griff mit Löwenprotomen und -figuren geschmückt ist und der oben in einem Götterkopf endet. Textzeugnisse, die ein solches Ensemble erklären könnten, haben sich bisher nicht gefunden; die Annahme, es müsse sich um eine Unterweltsgottheit handeln, ergibt sich nur aus der häufig vertretenen Auffassung, die ganze Kammer habe dem Totenkult des Königs Tutchalija gedient. Auf der gegenüberliegenden Seite der Kammer sind zwölf eng gestaffelte Götter dargestellt, deren weit ausgreifende Schrittstellung durch die Überschneidung der Beine betont wird. Gemeint ist wohl ein Nebeneinander der dargestellten Figuren und eine Bewegung, die als ein Reihentanz verstanden werden kann. Die gleiche Zwölfergruppe wiederholt sich im Übrigen - auch in der Bewegung — ganz am Ende der Reihe der männlichen Gottheiten der Kammer A.
 
Zu beachten ist noch eine weitere Königsädikula mit dem Namen Tutchalija, die in Kammer B neben dem Durchgang zu Kammer C angebracht ist und zu der kein Reliefbild gehört. Es ist denkbar, dass auf einer Basis vor der Stirnwand dieser Kammer ursprünglich eine Statue gestanden hat, die durch diese Ädikula als Beischrift namentlich bestimmt wurde. Dies würde gut zu der Deutung der Kammer als Ort des Totenkultes für König Tutchalija passen. Dem steht entgegen, dass im Alten Orient und in Ägypten Namensbeischriften bei Rundbildwerken stets auf der Figur selbst angebracht wurden, da nur so die Identität der Figur wirklich gesichert werden konnte. Sollte die Ädikula sich daher eher auf die Kammer C beziehen und den Eingang zu einem Bereich markieren, der dem König Tutchalija besonders geweiht war, vergleichbar dem Relief am Eingang der Kammer 2 in der Oberstadt? Die Inschrift dieser Kammer, in der diese als »göttlicher Pfad in den Untergrund« bezeichnet wird, ist dann vielleicht der Schlüssel auch zum Verständnis der Kammer B von Yazɪlɪkaya und ihrer Bilder.
 
Prof. Dr. Winfried Orthmann

Universal-Lexikon. 2012.

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